Mira und David sind seit sechs Jahren ein Paar. Es ist eine dieser Beziehungen, bei denen Außenstehende sagen: „Warum geht sie nicht einfach?“ Doch für Mira ist es nicht so einfach. David ist groß, attraktiv, charmant – aber auch unberechenbar. Seine Wutausbrüche sind so heftig, dass die Nachbarn schon mehrfach die Polizei gerufen haben. Trotzdem bleibt sie. Immer wieder.
Wie entsteht ein Trauma Bond?
„Ich weiß, dass er mir nicht guttut“, sagt Mira leise. „Es wäre wahrscheinlich besser für mich, mich von ihm zu trennen, aber… ich liebe ihn so sehr. Allein der Gedanke daran, ihn zu verlassen, löst eine so starke Unruhe in mir aus. Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Ich weiß, es klingt blöd – ich weiß das alles. Aber ich kann es einfach nicht.“
Ich nicke, warte einen Moment und frage dann ruhig:
„Magst du mir erzählen, wie dein Verhältnis zu deinen Eltern war?“
Mira zögert kurz. „Meine Mutter war Grundschullehrerin, eine ruhige, zierliche Frau, die immer allen gefallen wollte. Mein Vater war das Gegenteil – groß, laut, charismatisch. Wenn ihm etwas nicht passte, konnte er sehr wütend werden. Manchmal hat er meine Mutter angeschrien oder geschlagen. Wenn er getrunken hatte, wurde er laut. Als Kind habe ich mich manchmal unter dem Bett versteckt, wenn es wieder losging. Und trotzdem… ich hab ihn geliebt. Über alles. Für mich war er ein Held. Zu mir war er meistens liebevoll – solange ich brav war. Ich war seine kleine Prinzessin. Aber gleichzeitig hatte ich ständig Angst. Es war eine seltsame Mischung aus Liebe und… Angst.“
Ich sehe sie an.
„Fällt dir da etwas auf?“
Mira schluckt. „Ja… David ist meinem Vater verdammt ähnlich. Warum ist mir das vorher nie aufgefallen?“
Ich nicke. „Weil unser Nervensystem darauf programmiert ist, zu überleben. Und als Kind konntest du ohne deine Bezugspersonen nicht überleben. Also hast du dich an sie gebunden – selbst wenn sie dich verletzt haben. Was wäre damals die Alternative gewesen? Genau deshalb klammern sich Kinder besonders stark an missbräuchliche Eltern. Und diese Form der Bindung nennen wir Trauma Bond.“
Ich mache eine kurze Pause.
„Ein Kind hört niemals auf, seine Eltern zu lieben. Aber es hört auf, sich selbst zu lieben, wenn es schlecht behandelt wird. Es beginnt zu glauben, dass es selbst das Problem ist – dass es nicht liebenswert ist. Und daraus entsteht ein zerstörtes Selbstwertgefühl. Viele Menschen bleiben genau deshalb in toxischen Beziehungen: weil sie glauben, sie hätten nichts Besseres verdient. Sie können keine Grenzen setzen, weil sie nie gelernt haben, dass sie welche setzen dürfen.“
Mira hebt den Blick. „Aber warum gerate ich immer wieder an solche Männer? David ist nicht der Erste, der mich so schlecht behandelt.“
Ich lächle sanft.
„Weil unser Nervensystem sich nicht an dem orientiert, was gut für uns ist – sondern an dem, was vertraut ist. Du hast von klein auf gelernt: Liebe ist mit Schmerz verbunden. Und als du David begegnet bist, hat dein System gesagt: Das kenne ich. Das fühlt sich nach Zuhause an.“
„Ich erinnere mich an etwas. Du hast mir erzählt, dass du von Anfang an eine besonders tiefe Verbindung zu ihm gespürt hast – noch bevor du ihn wirklich kanntest.“
Mira nickt langsam. „Ja… es war, als hätte ich ihn schon mein ganzes Leben lang gekannt.“
Ich erwidere leise:
„Weil dein Nervensystem ihn erkannt hat. Er hat unbewusst etwas in dir berührt, das sehr, sehr alt ist. Das nennt man Wiederholungszwang – dein System versucht unbewusst, die alten Wunden zu heilen, indem es das gleiche Muster noch einmal durchläuft. In der Hoffnung, dass es diesmal ein besseres Ende nimmt. Aber dieses bessere Ende kommt nicht – nicht, wenn du im alten Muster bleibst.“
Fragst du dich auch, ob deine Beziehung toxisch ist?
Warum ist ein Trauma Bond so gefährlich?
Ein Trauma Bond ist keine gewöhnliche Verbindung – es ist eine Bindung, die sich existenziell anfühlt. Als würde das eigene Überleben davon abhängen, beim anderen zu bleiben. Auch wenn Betroffene längst erwachsen sind, für sich selbst sorgen können, rational wissen, dass die Beziehung ihnen schadet – ihr System sendet andere Signale. Denn wenn die Psyche in der Kindheit gelernt hat, dass Nähe mit Angst verknüpft ist, entsteht ein tiefes Bindungstrauma. Und aus diesem Trauma kann sich später eine emotionale Abhängigkeit entwickeln, die so stark ist, dass der Gedanke an Trennung sich wie ein innerer Absturz anfühlt.
Was das Ganze noch schwieriger macht: Nach jedem Streit folgen intensive Versöhnungsmomente – voller Nähe, Erleichterung, Hoffnung. Sie wirken wie der Beweis für eine besondere Verbindung. Doch genau darin liegt die Gefahr. Ein Trauma Bond ist oft auch geprägt von einem starken Machtungleichgewicht zwischen den Partnern – einer dominiert, der andere passt sich an. Die emotionale Achterbahnfahrt fühlt sich für viele wie Liebe an. Doch sie ist ein Sog aus alten Wunden.
Nicht selten bekomme ich Anfragen von verzweifelten Freundinnen: „Wie kann ich ihr helfen, sich aus dieser Beziehung zu lösen?“ Sie sehen das Drama, das Leiden – und sind mit ihrem Latein am Ende. Die betroffenen Frauen selbst kommen allerdings seltener direkt zu mir. Und ich vermute – ohne es sicher wissen zu können –, dass viele sich davor fürchten, was eine Therapie in ihnen auslösen könnte. Vielleicht haben sie Angst, dass ich sie tatsächlich dazu bewegen könnte, sich zu trennen. Und allein diese Vorstellung kann eine solche Panik auslösen, dass sie lieber in der bekannten Hölle bleiben – als in eine unbekannte Freiheit zu gehen.
Denn diese Bindung ist so intensiv, dass sie glauben, nie wieder jemanden zu treffen, zu dem sie so tiefe Gefühle empfinden werden. Sie glauben, er sei der Eine – der Einzige, der sie je so berührt hat. Doch was sie eigentlich fühlen, ist das Echo eines alten Traumas. Und ihr Nervensystem sucht unbewusst immer wieder diesen Schmerz – in der Hoffnung auf ein Happy End, das niemals kommt.
Wie kann man sich aus einem Trauma Bond befreien?
Der erste Schritt ist, zu erkennen: Das, was ich da fühle, ist kein Beweis für große Liebe – es ist ein Trauma Bond. Diese Erkenntnis kann bereits etwas lösen. Denn viele meiner Klientinnen halten sich selbst für schwach oder fehlerhaft – dabei ist ihr Bindungsmuster nur eine Folge ihrer Vergangenheit.
Wenn ein Kind einem jähzornigen, verletzenden Elternteil ausgeliefert ist, beginnt es unbewusst zu glauben: Ich bin das Problem. Und dieses Gefühl – klein, machtlos, nicht gut genug zu sein – wird zu einem inneren Dauerzustand. Auch als Erwachsene spüren viele diesen alten Schmerz wieder, besonders in toxischen Beziehungen. Sie verkörpern diese alten Überzeugungen. Und selbst wenn der Verstand längst weiß, dass sie falsch sind – es fühlt sich trotzdem wahr an.
Genau deshalb reichen Affirmationen oder positives Denken oft nicht aus. Im Gegenteil: Sie fühlen sich wie Selbstbetrug an. Denn das, was tief im Körper gespeichert ist, lässt sich nicht einfach wegdenken. Es braucht etwas anderes: einen Zugang zum Nervensystem. Eine Möglichkeit, dem Körper zu zeigen: Heute bist du sicher. Heute darfst du anders reagieren.
In meinem 1:1-Coaching helfe ich Frauen dabei, genau das zu lernen: ihr Nervensystem zu regulieren, aus dem inneren Alarmzustand herauszufinden, ihr Selbstbewusstsein aufzubauen – und wieder gesunde Grenzen zu setzen. Mit somatischen Übungen, sanfter Begleitung und einem Raum, in dem sie sich endlich wieder spüren dürfen.
Wenn du spürst, dass du bereit bist, dich zu lösen, dann melde dich gern bei mir.
Du musst diesen Weg nicht alleine gehen.